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TIERWOHL

Wenn Kühe Katzen lieben

Wir alle kennen diesen einen Freund. Der alles von uns weiß. Der uns zuhört, wenn man verrückte Ideen im Kopf und den Weltschmerz der ganzen Welt auf seinen Schultern trägt. Den man nachts anrufen kann, wenn man ohne Sprit auf der Autobahn liegen geblieben ist. An dessen Tür man klopft, wenn man Zuflucht sucht.

Doch nicht nur wir Menschen sind zu echter Freundschaft und Empathie fähig. Freundschaften gibt es auch unter Tieren. Und diese können über Artengrenzen, Farben, Größen und Bestimmungen hinaus gehen. Manchmal gibt es Tier-Freundschaften, die man nie für möglich gehalten hätte. Besonders berührend ist es, wenn Freundschaft zwischen Tieren auch Größenunterschiede und vermeintliche Rivalität überwindet. Wenn Beute nicht gefressen, sondern mit ihr gekuschelt wird.

Hershey & Rhys – tierisch gute Freunde

So wie bei Kuh Hershey und Katze Rhys aus Indiana, die zu zwei Tierarten gehören, die nicht nur von ihrer Körpergröße gar nichts miteinander gemein haben. Der eine mauzt und der andere muht. Der eine liebt Fleisch, der andere ist strikter Vegetarier. Der eine ist flinker Jäger, der andere entspannter Wiederkäuer. Einzig der gemeinsame Wohnort, ein Bauernhof, bringt die beiden Vierbeiner auf einen Nenner. Zumindest geografisch.

Die schüchterne Kuh und der selbstbewusste Kater lernten sich auf der Farm von Sandy Powell in den USA kennen. Von Tag eins an hatte das scheue Kälbchen Hershey den selbstbewussten Kater Rhys an seiner Seite. Das kleine Kalb lernte von seinem ungewöhnlichen Weggefährten, sich in die Gemeinschaft der anderen Tiere zu integrieren und lebte sich dadurch schneller in seinem neuen Zuhause ein. Als hätte der Kater dem Kalb geholfen über seinen Schatten zu springen und die Schüchternheit vor den anderen Farmbewohnern abzulegen. Seither sind die beiden ungleichen Freunde unzertrennlich und verbringen fast all ihre Zeit gemeinsam. Fellpflege und gemeinsames Mittagsschläfchen eingeschlossen, während die anderen auf Sandys Farm lebenden Katzen, Pferde und Esel freundlich geduldet, aber nicht in den Freundeskreis aufgenommen werden.

Doch wie entstehen solch herzerwärmenden tierischen Verbindungen, wenn nicht einmal dieselbe Sprache gesprochen wird? Ein klarer Fall für die Wissenschaft, die sich immer mehr mit Gefühlen, Freundschaften und Zuneigungen von Tieren beschäftigt. Und das obwohl sich gerade diese immer gegen „Gefühlsduselei in der Tierwelt“ gesträubt hat. Gefühle bei Tieren galten in der Wissenschaft schließlich lange Zeit als unausgesprochenes Tabu. Eine Erfahrung, die selbst die berühmte Forscherin Jane Goodall machen musste. Sie wurde kritisiert, weil sie den Affen in ihren Studien Namen statt Nummern gab, während sie mit ihnen arbeitete.

Tierische Gefühle in der Wissenschaft

Heute hat die Wissenschaft einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. So wurden Gefühle nicht nur bei Hunden, Katzen oder Affen nachgewiesen, sondern sogar bei Ratten und Mäusen festgestellt. Im gleichen Zuge hat sich der Kenntnisstand über die Gefühlswelt unserer Nutztiere nach vorne bewegt. Empathie unter Rindern, Intelligenz von Schweinen oder eben Freundschaften zwischen Haus- und Nutztier werden nicht mehr unter „schwachsinnige Momentaufnahmen“ abgelegt, sondern gelten als bewiesene Fakten mit überraschender Intensität.

Dabei sind Forscher nicht etwa sentimentaler als früher, sondern stützen ihre Arbeit auf logische Zusammenhänge und anatomische Gegebenheiten – wie u. a. dem Aufbau von Hirnstamm, Nervensystem und neuronalen Informationsübermittlungen. Aufgrund dieser Tatsachen ist Verhaltensbiologe Marc Bekoff einer unter vielen Forschern, die überzeugt sind, dass Tiere – genau wie wir Menschen – Trauer, Liebe, Hass, Freude oder Mitleid empfinden können.

Diese Bandbreite der möglichen Empfindungen erklärt auch die Fähigkeiten der Vierbeiner, wahre Freundschaften zu knüpfen. Während sich hierbei einige Verbindungen relativ leicht erklären lassen – wenn beispielsweise ein junges Tier Schutz bei einem älteren, größeren Verbündeten sucht – überraschen andere Tiere mit ihren auserwählten Begleitern. Gerade die Anziehungskraft vermeintlicher Gegensätze beweist die echte Fähigkeit zu Freundschaft unter Tieren, schlussfolgert US-Biologin Barbara J. King über die nicht erklärbaren Bande im Tierreich.

Echte Freundschaften sind bunt

Die Vielfalt der Freundschaften gibt ihrer Schlussfolgerung recht. Denn es gibt im Tierreich fast nichts, was es nicht gibt: die Schlange, die mit einem Hamster als Mitbewohner lebt, der Golden Retriever, der sich mit den Koi-Karpfen zusammentut, und eben auch das immer wieder zu erlebende, besondere Band zwischen Haus- und Nutztier, wie bei Kuh Hershey und Katze Rhys.

Gerade solche Verbindungen bringen uns zwangsläufig dazu, darüber nachzudenken, warum wir für die eine Kategorie Tier Kuschelkörbe, Luxusfutter und Spielzeug kaufen, sie wie ein Familienmitglied lieben und halten, während wir die andere Kategorie Tier auf Gitterböden in freudlose Ställe verbannen, um günstiges Fleisch auf dem Teller und frische Milch im Müsli zu haben.

Einen wirklichen Grund für eine solche Unterscheidung kann es in logischer Konsequenz nicht geben. Und vielleicht wäre es gar nicht so verkehrt, wenn wir uns alle eine große Scheibe Empathie der Vierbeiner abschneiden, die mit ihrem Verhalten zeigen, dass es im Leben um mehr geht als um Fressen und Gefressen-Werden. Und dass Freundschaft keine Frage der Sprache, Rasse oder Herkunft ist, sondern etwas, dass unser Herz berührt und uns glücklich macht.