TIERWOHL
Stallgeflüster & Dschungel-Talk
Können wir mit Tieren reden?
In der Unberührtheit der afrikanischen Wildnis wuchs ein kleines Mädchen auf, das uns eine außergewöhnliche Lektion über die Beziehung zwischen Mensch und Tier lehrt. Tippi Degré, oft als das „echte Mowgli“ bezeichnet, verbrachte ihre Kindheit eng verbunden mit der Tierwelt, von majestätischen Elefanten bis hin zu gefleckten wilden Leoparden. Sie spricht mit den Tieren und diese reagieren. Sie liest die Körpersprache und versteht die Laute. Unglaublich berührend sind die Bilder, die ihre Eltern von ihr und ihren Tierfreunden als Tierfilmer gemacht haben.
Ihre einzigartige Fähigkeit, mit wilden Tieren zu kommunizieren, eröffnet uns nicht nur eine magische Perspektive auf die Natur, sondern dient auch als eindrucksvoller Beweis dafür, dass die Kommunikation über Arten hinweg tiefgründiger und bedeutungsvoller ist, als wir es uns je vorgestellt haben.
Während Tippis Geschichte uns in die Wildnis entführt, gibt es eine ebenso faszinierende, etwas weniger wilde Welt, die näher an unserem Alltag liegt – die von Schweinen, Kühen und Co. Lange Zeit wurden Nutztiere lediglich als Lieferanten für Nahrung und Material betrachtet. Doch neuere wissenschaftliche Studien zeigen, dass sogenannte Nutztiere in einer reichhaltigen und komplexen Weise kommunizieren, die ihre individuellen Persönlichkeiten, Emotionen und sozialen Bindungen widerspiegeln. Wir wollen das genauer wissen. Und auch beleuchten, welche Möglichkeiten wir als Menschen haben, uns mit unseren vierbeinigen Freunden zu „unterhalten“.
Tierkommunikation-ABC
Die Forschung hat eindrucksvoll belegt, dass die klassischen Bauernhof- oder Nutztiere ein weitreichendes Repertoire an Kommunikationsmöglichkeiten besitzen. Körpersprache und ein ausgiebiges Vokabular an Lauten sind nicht uns Menschen allein beschert.
Schweine zum Beispiel sind für ihre kommunikative Vielfalt bekannt und können eine erstaunliche Bandbreite an Lauten produzieren. Es wird geschätzt, dass Schweine über 20 verschiedene Grunzlaute und andere Geräusche machen können, um eine ganze Reihe an Zuständen, Bedürfnissen und Emotionen zu kommunizieren. Diese Laute reichen von Zufriedenheitsgrunzen, die oft beim Fressen zu hören sind, bis hin zu alarmierenden Schreien, die Unbehagen oder Angst signalisieren. Die Fähigkeit der Schweine, mit solch einer Bandbreite an Äußerungen zu kommunizieren, unterstreicht ihre soziale Intelligenz und die Komplexität ihrer Interaktionen mit Artgenossen. Ist es möglich, dass wir als Menschen uns an ihrer Kommunikation beteiligen?
„Talking to Cows“: Einblick in die Forschung
Die Studie mit dem kurzen Namen: “Talking to Cows: Reactions to Different Auditory Stimuli During Gentle Human-Animal Interactions”, puh …, liefert tiefe Einblicke in die sensible Natur unserer Nutztiere und wie sie auf menschliche Kommunikation reagieren. Denn diese und vergleichbare Studien haben gezeigt, dass Kühe nicht nur auf die emotionale Färbung unserer Stimme reagieren, sondern tatsächlich in der Lage sind, unterschiedliche Emotionen zu erkennen und darauf zu antworten. Diese Erkenntnisse legen nahe, dass Kühe ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz besitzen, ähnlich wie Haustiere, mit denen wir eine enge Beziehung pflegen.
Die Studie belegt, dass Kühe besonders positiv auf sanfte, beruhigende Stimmen reagieren, was zu einer niedrigeren Herzfrequenz und Anzeichen von Entspannung führt. Diese Reaktion ist ein deutlicher Indikator dafür, dass die emotionale Verfassung von Kühen direkt durch die Art und Weise beeinflusst werden kann, wie Menschen mit ihnen kommunizieren und umgehen. In einem weiteren Kontext unterstreicht dies die Bedeutung einer respektvollen und einfühlsamen Behandlung von Nutztieren, die wir uns angewöhnen sollten, anders zu nennen. Beispiel Bauernhoftiere, domestizierte Tiere. Hast du einen anderen Vorschlag?
Diese Erkenntnisse werfen ein kritisches Licht auf die Praktiken der Nutztierhaltung, insbesondere in industriellen Maßstäben, wo (solche feinfühligen) Interaktionen zwischen Mensch und Tier selten sind. Die Fähigkeit der Tiere, Emotionen zu erkennen und darauf zu reagieren, sollte ein starkes Argument gegen eine Behandlung sein, die diese sensiblen Wesen bloß als Produktionsmittel sieht. Besonders Schweine haben dabei ein gewisses „Ich-Verständnis“ und interagieren auch aus diesem Eigenempfinden heraus auch mit uns. Doch es geht nicht nur um die Schweine …
Tierische Fremdsprachen im Überblick
Hier eine Zusammenfassung von weiteren wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Art und Weise, wie einige der häufigsten Bauernhoftiere miteinander und mit uns kommunizieren:
- Kühe verfügen über individuelle Rufe, mit denen sie sich identifizieren und ihre Emotionen ausdrücken. Studien der University of Sydney (2020) haben gezeigt, dass diese Laute komplexe soziale Beziehungen und Gefühlszustände wie Freude oder Stress vermitteln können.
- Schweine nutzen eine breite Palette von Grunzlauten, um ihre emotionalen Zustände zu kommunizieren. Forschungen der University of Pennsylvania (2021) verdeutlichen, dass Schweine über ein hohes Maß an sozialer Intelligenz verfügen und in der Lage sind, komplexe Beziehungen innerhalb ihrer Gruppe zu pflegen.
- Ziegen kommunizieren mit ihren Kindern durch einzigartige Rufe, die spezifische Empfindungen und Zustände übermitteln. Laut Forschern der Queen Mary University of London (2019) stärken diese Laute die Bindung zwischen Mutter und Kind.
- Schafe erkennen und erinnern sich an die Gesichter ihrer Artgenossen sowie an menschliche Gesichter. Dies unterstützt die komplexe soziale Kommunikation innerhalb der Herde, wie Studien der University of Cambridge (2018) belegen.
Stellt sich also die Frage, inwieweit wir Menschen bereit sind, uns diese Sprache anzueignen, „zuzuhören“ und uns entsprechend einfühlsam zu verhalten.
Erstaunliche Entdeckungen – lautes Trompeten und feine Töne in der Wildnis
Jenseits dieser Erkenntnisse über „Nutztiere“ hat die Wissenschaft auch in der Wildnis bemerkenswerte Kommunikationsformen (Zoosemiotik) entdeckt.
1. Chemische Kommunikation: Wusstest du, dass Ameisen über Duftstoffe kommunizieren? Und dass bestimmte Schmetterlingsarten Pheromone abgeben, die Raubtiere abschrecken können, eine Strategie, die über die reine Partnerwerbung hinausgeht. Toxische Beziehungen sollten man das aber nicht nennen. 😉
2. Auditive Kommunikation: Forschungen haben ergeben, dass Delfine nicht nur über Pfeiflaute kommunizieren, sondern diese Laute auch nutzen, um individuelle „Namen“ für sich und andere zu kreieren. Sie geben also Spitznamen.
3. Visuelle Kommunikation: Einige Krabbenarten verwenden visuelle Signale in Form von spektakulären Farbmustern auf ihren Schalen, um Partner anzuziehen und Rivalen abzuschrecken. Als Warnung sind kräftige Farben auch bei giftigen Tieren wie Schlangen üblich.
4. Taktile Kommunikation (Tastsinn): Ein verblüffendes Forschungsergebnis hat gezeigt, dass Elefanten über ihre Rüssel und Füße Vibrationen im Boden wahrnehmen und so über weite Strecken kommunizieren können. Auch Blauwale nutzen Schallwellen zur Verständigung.
5. Mimik und Gestik: Gerade die Primaten wie die Menschenaffen haben eine ganze Palette an Gesichtsausdrücken, mit der sie kommunizieren.
Die genannten Erkenntnisse sind nur einige Beispiele, die die Vielfalt und Komplexität der Zoosemiotik illustrieren. Sie basieren auf allgemeinem Wissen über Tierkommunikation und auf Konzepten, die in der Forschung weit verbreitet sind. Sie erweitern unser Verständnis davon, wie Tiere die Welt wahrnehmen und interagieren. Sie fordern uns auf, unsere Perspektive auf die nicht-menschlichen Bewohner unseres Planeten zu überdenken und ihren Reichtum an sozialen Beziehungen anzuerkennen.
An alle Nerds da draußen: wir empfehlen für spezifische Studien und detaillierte Informationen, wissenschaftliche Publikationen und Fachliteratur zu diesen Themen zu konsultieren, da sie direkte Einblicke in die unglaublichen Forschungsarbeiten und die beteiligten Wissenschaftler:innen bieten. Unser Tipp: Google Scholar oder vergleichbare wissenschaftliche Datenbanken.
Die Bedeutung der Tierkommunikation für den Menschen
Die tiefere Erforschung der Tierkommunikation hat nicht nur wissenschaftliche, sondern auch ethische Implikationen. Sie eröffnet neue Wege für eine verbesserte Tierhaltung und fördert ein tieferes Bewusstsein für die Bedürfnisse und das Wohlergehen unserer tierischen Gefährten. Indem wir lernen, die Sprache der Tiere zu verstehen und zu respektieren, können wir eine tiefere Verbindung zu ihnen aufbauen und gleichzeitig einen Schritt hin zu einer gerechteren und mitfühlenderen Welt machen.
Inzwischen gibt es auch neue, spirituellere Ansätze mit Tieren zu kommunizieren. Doch müssen wir den wissenschaftlichen Boden nicht verlassen, um durch genaue Wahrnehmung, Einfühlungsvermögen und eine respektvolle Grundhaltung mit unseren Mitgeschöpfen achtsamer umzugehen.
Fazit: ein Dialog über Speziesgrenzen hinweg
Die Geschichte von Tippi Degré und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Tierkommunikation erinnern uns daran, dass in der vermeintlich sprachlosen Natur ein reger und tiefgreifender Austausch stattfindet – ein Dialog, der weit über das Menschliche hinausgeht und alle Lebewesen einschließt. Indem wir diesen Dialog anerkennen und lernen, daran teilzunehmen, können wir nicht nur unser Verständnis und unsere Beziehung zu Tieren vertiefen, sondern auch einen wertvollen Beitrag zu einer empathischeren und nachhaltigeren Welt leisten. Die Fähigkeit, über Speziesgrenzen hinweg zu kommunizieren und zu interagieren, ist nicht nur ein Wunder der Natur, sondern auch ein kraftvolles Instrument des Wandels – für uns alle.