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ÜBER DEN TELLERRAND

Der Ernte sei Dank

Eine der großen menschlichen Errungenschaften …

… ist die auf Ideen und Kultur beruhende Weitergabe von Handlungsmustern und Glaubensvorstellungen – den meisten auch als „Tradition“ bekannt. Paradoxerweise ist es allerdings vor allem Tradition, all diesen überlieferten Traditionen gedankenlos zu folgen. Schließlich hat man das ja schon immer so gemacht. Und das kann ja nicht falsch sein … oder?

Dieser hochphilosophische Gedanke durchbohrte mich, der ich am radikalen Veganismus laborierte, wie ein Fleischspieß. Ich war auf dem Weg zum Flughafen, um meinen amerikanischen Onkel und seine zwei Teenager-Töchter von ihrem Überflug aus New York in Empfang zu nehmen. Schon am Gate rieb Onkelchen sich vor Freude auf das anstehende Erntedankfest und die Zusammenführung der Familien die Hände; immerhin gehört Thanksgiving, neben dem Nationalfeiertag und ausgedehnten Besuchen bei Burger King und Kentucky Fried Chicken, zu den ganz großen Traditionen in Amerika.

Erntedankfest im Elternhaus

Da sich mein Vater schon Monate zuvor telefonisch dazu hinreißen ließ, seinem amerikanischen Bruder und dessen gleichfalls carnivoren Töchtern ein ebenso üppiges wie traditionelles Truthahngelage in Aussicht zu stellen, wuselten Vater, Mutter und Oma schon drei Tage vor Erntedank wie ein aufgeschreckter Wespenschwarm durch die Küche. Da weder meine Oma noch meine Eltern nur einen Hauch von Ahnung bezüglich meiner, wie sie gerne mal sagten, „Krankheit“ hatten und mich, das schwarze Schaf der Geschnetzelten-Familie in Anflügen humoristischer Tiraden des Öfteren mit dem Spitznamen „Hackbratenallergiker“ adelten, bot ich ihnen wie immer an, meine pflanzlichen Alternativgerichte selbst zuzubereiten und diesen veganen Garten Eden am Tag des Erntedankfestes ins Elternhaus mitzubringen.

Besinnend auf die Kernaussage des Begriffs Erntedank, verbrachte ich die nächsten beiden Tage der Ernte dankend mit den Einkäufen und der Vorbereitung zu meinem persönlichen Festschmaus. Da Truthahn und Entenkeule relativ selten dem Felde entwachsen, fokussierte ich mich auf Gemüse, Obst, Nüsse, Feldfrüchte, die best buddies Tofu und Seitan, aus denen man übrigens mit ein wenig Finesse, Kräutern und den richtigen Gewürzen hervorragend mundende Schnitzel, Gyros und Würste basteln kann.

Der Tag des Festes …

… begann selbstverständlich mit dem Ausstopfen und Füllen des fraglos glücklich verstorbenen Truthahns, der mich bezüglich seiner Ausmaße eher an einen Vogelstrauß erinnerte und somit auch den gesamten Herdraum einnahm. Während Oma und Mutter nahezu alles verfügbar Essbare in den Hohlraum des Vogelmagens pressten, leerte ich das gute Dutzend Tupperwareboxen und drapierte mein reichhaltiges 4-Gänge Menü auf Mutters schönsten Tellern, Schüsseln und Schalen. Die Zeit verging, der aufgeblähte Hahn brutzelte vor sich hin und die gesamte Familie saß im Garten und schwelgte in Erinnerungen. Nur meine beiden etwas übersteuerten Teenie-Cousinen waren wieder mal auf Abenteuerrundgang und nirgends zu sehen … zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als zwei Hilfeschreie im Kanon vom Waldrand ins idyllische Gärtchen drangen. Wie vom Blitz getroffen rannten alle Richtung akustischem SOS-Zeichen und entdeckten die beiden Ausreißerinnen vor einem leblosen, vermutlich aus seinem Nest gefallenen Federviehküken kauern. Nach ausgiebiger Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung und einigen Stretchübungen meiner weisen, mit etlichen Haushaltstipps ausgestatteten Oma hatten wir nach gut einer Stunde Hilfsbereitschaft ein Tierleben gerettet und wieder ins heimische Nest gehievt.

Der nächste Schrei kam dann aber von meiner Mutter, die wie von der Tarantel gestochen Richtung Küche losrannte – und wir alle hinterher. Kurzum, es rauchte wie nach einer Explosion und der Paradiesvogel im Ofen hatte pechschwarze Farbe und kohleartige Konsistenz angenommen. Dieser zweite Vogel war definitiv nicht zu retten.

Nachdem die kollektiven Familientränen getrocknet waren, übernahm ich das Küchenzepter und servierte mein veganes, farbenfrohes, extrem gesundes und vor allem äußerst schmackhaftes 5-Gänge-Menü mit jener Nonchalance, die nur Essens- und Lebensrettern innewohnt. Die schmatzenden Komplimente, Schulterklopfer und Danksagungen meiner gesamten Familie gipfelten letztlich in der Aussage, dass es das beste Erntedankessen „ever“ war und ich doch bitte in Zukunft bei allen Familientreffen den Kochlöffel als „Chef de Hackbratenallergiker“ schwingen sollte.