V-STORY
Vegan in der Steinzeit?
Carnivoren oder Veganer: wie ernährten sich die Steinzeitmenschen?
Die oft verbreitete Annahme, unsere frühen Verwandten wären in erster Linie Fleischesser gewesen, stellt sich nach jüngsten Forschungsergebnissen als falsch oder zumindest sehr fraglich heraus.
Essen wie die Neandertaler: die sogenannte Paläo-Diät (Steinzeit-Diät) wird heute oft als Synonym für eine sehr Fleisch lastige Ernährung benutzt. Nun zeichnen verschiedene Forscher ein ganz anderes Bild vom Speiseplan der Neandertaler und der frühen Homo-Sapiens. Die Ergebnisse verschiedener Forschungen zur Ernährung in der Steinzeit ergeben ein sehr interessantes und oft überraschendes Bild. So standen verschiedenste Pflanzen allein oder zumindest weit häufiger auf dem Speiseplan als angenommen.
Veganes Kochen in der Steinzeithöhle
Ein Forscherteam um Ceren Kabukcu1 von der Universität in Liverpool hat Funde von pflanzlichen Nahrungsresten aus dem Irak und aus Griechenland analysiert, die bis zu 75.000 und rund 12.000 Jahre alt sind. In einem Artikel im Journal „Antiquity“2 schreiben die Forscher, dass diese Funde die ältesten Belege ihrer Art seien, die auf eine Zubereitung von Speisen in Südwestasien und in Europa schließen lassen. Die Funde seien die ersten echten Hinweise auf komplexes Kochen und damit auf eine Essenskultur bei Neandertalern und auch bei frühen modernen Menschen – lange vor dem landwirtschaftlichen Zeitalter.
Mit Hilfe von verschiedenen mikroskopischen Verfahren und Techniken analysierten die Forscher Reste von verkohlter pflanzlicher Nahrung der Jäger und Sammler. Diese Untersuchungen gaben Hinweise auf die verwendeten Nahrungsmittel und die jeweiligen Zubereitungsmethoden. Das Zubereiten von Pflanzensamen durch Einweichen, Stampfen, Würzen und Erhitzen sehen die Forscher in der Tat als den Beginn des Kochens.
12.000 Jahre alte Kochkunst
Funde aus der Franchthi-Höhle in Griechenland geben Aufschluss über die frühen kulinarischen Fähigkeiten des Homo sapiens von vor 12.000 Jahren. So wurden verkohlte Samen und sogar Überreste von Nahrung gefunden, die an eine Art Fladenbrot erinnern. Verschiedene Schalen von Samen seien für Wicken, Linsen und andere Hülsenfrüchte charakteristisch. Einige dieser Hülsenfrüchte enthalten bittere Anteile, die erst durch eine Bearbeitung vor dem Verzehr genießbar gemacht werden müssen. Glatte Kanten und andere Strukturen der Samenüberreste ließen die Forscher zum Schluss kommen, dass die Frühmenschen diese gestampft, grob gemahlen oder eingeweicht haben. Zum Teil wurden wohl auch frische Samen mit einer höheren Feuchtigkeit verwendet. Die Funde aus Franchthi seien, so betonen die Forscher, die ältesten derartigen Reste von Pflanzen in Europa.
Im kurdischen Norden des Irak hingegen fanden die Forscher in der Shanidar-Höhle Hinweise auf die Zubereitungen von Platter-Erbsen und Erbsen. Wahrscheinlich verarbeitete Homo sapiens hier auch wilden Senf und Pistazien schon vor 35.000 bis 42.000 Jahren. Dies ließ sich aus zerkleinerten und verschmolzenen Nahrungsresten vermuten.
Fortschrittliche Nahrungszubereitung der Neandertaler
In der gleichen Höhle hatten Neandertaler schon vor 70 bis 75.000 Jahren Gräser und Früchte zubereitet. Bereits früher konnten Wissenschaftler anhand von Zahnstein-Analysen zeigen, dass in der Shanidar-Höhle Neandertaler eine sehr abwechslungsreiche Ernährung hatten und zum Beispiel Wildgetreide bereits erhitzen. Einzelheiten dazu lieferten nun die Ergebnisse der Forscher von der Universität in Liverpool.
Ob in den Höhlen in Griechenland oder im Irak, das Einweichen und Erhitzen wilder Pflanzen und das Verarbeiten durch Stampfen oder grobes Mahlen reduzierte die bitteren Substanzen in den Samenhüllen, was zu einem besseren Geschmack und zu einer höheren Verträglichkeit führte.
Ganz wurden die Samenhüllen jedoch nicht entfernt. Ein geringer Anteil von Tanninen und Alkaloiden behielten die frühen Menschen, laut den Forschern, wohl absichtlich. Ceren Kabukcu sieht darin den Beginn gewisser kulinarischer Kulturen, in denen Aromen schon sehr früh eine Bedeutung bekommen haben. Heute lieben ja auch viele Menschen Vollkorn als Brot oder im Müsli.
Homo Sapiens und Neandertaler waren also schon früh in der Lage etwas zuzubereiten. Und gewisse kreative Kochweisen kann man den Jägern und Sammlern wahrscheinlich zugestehen. Auch wenn man über die Art des Erhitzens ohne Töpfe und andere Kochutensilien nur spekulieren kann – Respekt haben beide sich dafür schon verdient.
Heute ist die Zubereitung von Speisen auf heißen Steinen wieder modern geworden. So können wir bei dem nächsten Besuch in einem Lavastein-Restaurant oder vor der nächsten Steinofen-Pizza ja einmal kurz auf unsere Vorfahren anstoßen.
Auf den Zahn fühlen
Bereits vor der neolithischen Revolution (also dem erstmaligen Aufkommen von Ackerbau, Viehzucht, Sesshaftigkeit und Vorratshaltung) und damit in den groben Anfängen des Lebens, wie wir es heute kennen, hatten unsere Vorfahren mehr auf dem Kasten, als wir es noch vor einigen Jahren erahnten. Und doch war nicht alles „im grünen Bereich“ – wie man ebenfalls wissenschaftlich feststellen kann.
Neben den Analysen der pflanzlichen Nahrungsreste hat vor allem die schon erwähnte Zahnsteinanalyse viele neue Erkenntnisse gebracht. Forscher der Universität von Adelaide hatten schon vor einigen Jahren anhand dieser herausgefunden, dass es unter den Neandertalern Vegetarier gegeben hat. So sagt Laura Weyrich: „Wir haben uns die Fossilien von Neandertalern angeschaut und konnten tatsächlich erkennen, was sie damals gegessen haben. Zudem konnten wir rekonstruieren, in welchem Gebiet sie lebten, wie gesund sie waren oder welche Krankheiten sie hatten.“
Die Mikrobiologin aus Adelaide hat verschiedene Zähne von Neandertalern untersucht. Die Zähne stammen aus verschiedenen Gebieten wie Spanien, Belgien und Italien. Mit Hilfe von DNA-Sequenzen konnte sie die Ernährung je nach Gebiet unterscheiden und grob bestimmen. An den Zähnen aus nördlicheren Gebieten wurden viele Fleischreste von Mufflons, also Wildschafen, und Wollnashörnern gefunden. Hier muss also sehr viel Fleisch auf dem Speiseplan gestanden haben. Die Analysen aus Spanien, also wesentlich südlicher, aus der El Sidron-Höhle ergaben, dass es sich definitiv nicht um Fleischesser handelte.
Der Nachweis von Moos, Pinienkernen, Pilzen und Baumrinde erklärt sich durch die Umgebung, die damals vor allem aus Waldgebieten bestand. Die Paläo-Diät in Spanien war also fleischlos.
Medizinische Versorgung hat es damals ebenfalls in Ansätzen gegeben. So konnte auch Salizylsäure aus Baumrinde nachgewiesen werden. Das natürliche Schmerzmittel ist noch heute bekannt und Vorbild für die Pharmazie. Sogar Spuren natürliches Antibiotikum fand man, wie der Schimmelpilz Penicillin. Das Wissen über die Natur war also schon ausgeprägter als wir es von den „Keulen schwingenden Wilden“ erwartet haben.
Ein anderer Blick auf die Steinzeit
Neandertaler und frühe moderne Menschen haben bereits bewusst verstanden, wie sie die Ressourcen aus ihrer Umgebung nutzen konnten. Ihre soziale Kompetenz und das Zusammenleben waren ausgeprägter als lange gedacht. Unser Bild von der Steinzeit hat sich so stark verändert und neue Erkenntnisse werden es weiter tun.
In jedem Fall war es ein langer Weg vom Kochen in der Steinzeit bis hin zu den heutigen Kochsendungen im Fernsehen und den stylischen Food-Channels in den sozialen Medien. Vielleicht können wir bei dieser langen Geschichte auch etwas für uns selbst mitnehmen. Womöglich erkennen wir in unseren Vorfahren sogar Trendsetter für das, was heute vegane und pegane Ernährung heißt. Wenn es schon in der Steinzeit möglich war, sich pflanzlich zu ernähren, dann sollte es doch heute erst recht kein Problem sein. Wir von velivery glauben daran.
1) https://www.liverpool.ac.uk/archaeology-classics-and-egyptology/staff/ceren-kabukcu/
2)https://www.cambridge.org/core/journals/antiquity/article/cooking-in-caves-palaeolithic-carbonised-plant-food-remains-from-franchthi-and-shanidar/0CB510C9E528CD7AD923469D78E14E42