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VEGAN PERSONALITY

niko rittenau – vegan klischee ade!

„Wie konnte es passieren, dass etwas so Essenzielles wie die Nahrungsaufnahme so unverständlich und kompliziert wurde?“ Genau diese Frage hat Niko Rittenau dahin gebracht, wo er heute steht. Als erfolgreicher Buchautor, Ernährungswissenschaftler und Speaker trägt er sein Wissen über gesunde, pflanzliche Ernährung in die Welt und stärkt durch seine Arbeit in den Menschen das Bewusstsein für die eigene Gesundheit, gelebte Nachhaltigkeit und die Verantwortung für unseren Planeten.

Der gebürtige Österreicher ist ausgebildeter Koch und gelernter Touristikkaufmann. Auf halbem Weg seinen ursprünglichen Traum von einer Karriere als Hotelmanager in Luxushotelbereich zu verwirklichen, hat er diesen zugunsten eines Studiums der Ernährungswissenschaft mit Fokus auf pflanzliche Ernährung aufgegeben. Nach seinem Bachelorabschluss schloss sich ein Masterstudium der Mikronährstofftherapie und Regulationsmedizin an; derzeit schreibt er an seiner Doktorarbeit im Fachbereich Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften. Das geballte Wissen aus Kochlehre und akademischer Ernährungslaufbahn nutzt er heute, um Gesundheitsbewusstsein, guten Geschmack und nachhaltigen Konsum praxisnah und lebendig zu vermitteln. Denn für die menschliche Gesundheit gibt es, wie es Niko in seinen Vorträgen gerne betont, drei Hauptrisikofaktoren: Frühstück, Mittag- & Abendessen.

„Mit jeder einzelnen Mahlzeit haben Menschen nicht nur einen großen Einfluss auf ihre eigene Gesundheit, sondern auch auf den Schutz der Umwelt und das Wohlergehen aller Lebewesen auf dem Planeten“, ist nur eine der Grundphilosophien von Niko Rittenau, der uns als neuer Experte für velivery zum ersten Interview spannende Eindrücke in sein Tun, seinen Antrieb und seine Geheimzutaten gegeben hat.

1. Was waren deine persönlichen Gründe, erst Vegetarier und dann 2013 Veganer zu werden?

Der Umstieg auf die vegane Ernährung vor fast 10 Jahren war primär ethisch motiviert. Die ökologischen Vorteile habe ich erst im Laufe der Zeit erfahren. Ich war früher ein großer Käsefan und entsprechend schwer fiel mir das Weglassen von Parmesan, Hirtenkäse usw., aber als ich im Detail erfuhr, was hinter der Produktion der allermeisten Milchprodukte steckt, konnte ich den Konsum trotz meiner ausgeprägten kulinarischen Vorliebe ethisch nicht mehr rechtfertigen. Da ich in allen Lebensbereichen – soweit wie möglich und im Alltag umsetzbar – im Einklang mit meinen ethischen Werten leben und beim Essen keine Ausnahme machen möchte, war relativ schnell klar, dass ich mich von Käse und anderen Tierprodukten verabschiede. Daher freue ich mich besonders, wenn in einigen Jahren über Techniken wie der Präzisionsfermentation im Rahmen der zellbasierten Landwirtschaft auch Milchproteine wie Casein und Molkenproteine ganz ohne das Tier produziert werden können und es dann auch veganen Käse gibt, der geschmacklich ident mit tierischem Käse sein wird und sogar noch bessere Nährwerte aufweisen wird.

2. Worin siehst du die Hauptbeweggründe sich vegan zu ernähren?

Wenn man sich die Definition der Vegan Society aus 1944 ansieht, wird deutlich, dass der Veganismus primär eine Tierrechtsbewegung ist, die sich gegen Ausbeutung und Grausamkeit gegenüber fühlenden Lebewesen unabhängig der Spezieszugehörigkeit ausspricht. Zusätzlich spielen auch die ökologischen und (welt-)gesundheitlichen Aspekte eine Rolle in der Ursprungsdefinition, aber der Kern der Bewegung bleibt die Tierethik. Ein zu starker Fokus auf ökologische oder gesundheitliche Aspekte kann darüber hinaus im schlechtesten Fall dazu führen, dass der Fokus von den eigentlichen Opfern, nämlich den Tieren, auf andere Aspekte gelegt wird. Darüber hinaus ist Veganismus auch mehr als nur eine Ernährungsweise; es ist eine Lebensweise, in der Tierausbeutung in sämtlichen Aspekten – soweit wie möglich und im Alltag umsetzbar – vermieden wird. Das betrifft unter anderem Kleidung, Kosmetik und andere Gebrauchsgegenstände, aber auch Zoos, Zirkusse und andere Einrichtungen, in denen Tiere zu Unterhaltungszwecken oder aus anderen Gründen ausgebeutet werden.

3. Was treibt dich an?

Es liegt enorm viel Potenzial in einer gesunden, nachhaltigen Ernährung in Bezug auf so viele Lebensbereiche, und ich sehe aber gleichzeitig, wie desaströs die aktuell vorherrschenden Ernährungsmuster für die Gesundheit der Menschen, für den Planeten und vor allem für all die nicht-menschlichen Tiere sind. Als Ernährungsfachkraft sehe ich es als meine Verantwortung, bestmöglich darüber aufzuklären und gemeinsam mit der Gastronomie, Lebensmittelindustrie, dem Einzelhandel und weiteren Akteuren der Ernährungsbranche für einen Wandel zu sorgen. Ich bin in der privilegierten Lage, meinen Lebensunterhalt mit etwas zu verdienen, das mir persönlich viel bedeutet und das ich als sehr sinnstiftend empfinde, und möchte im Gegenzug auch einen sinnvollen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Das treibt mich an und motiviert mich, trotz des großen Arbeitspensums und der 7-Tage-Woche am Ball zu bleiben und den Fokus nicht zu verlieren.

4. Was rätst Du Neu-Veganern?

Wenn man sich erstmals mit dem Thema der veganen Ernährung im Rahmen der veganen Lebensweise auseinandersetzt, kann das für viele – besonders wenn man bisher wenig Vorkenntnisse in Bezug auf Ernährungslehre hatte – schnell überwältigend wirken. Letztendlich ist eine gesunde vegane Ernährung aber keine Raketenwissenschaft, allerdings gilt es einige Grundregeln zu beachten. Zu diesem Zweck habe ich gemeinsam mit meinem Freund und Kollegen Sebastian Copien einen vollkommen kostenfreien Onlinekurs namens „Beginner Masterclass“ mit allen Infos zum optimalen Einstieg in die vegane Ernährung kreiert. Zugriff auf die gratis Videoreihe gibt es unter beginner.vegan-masterclass.de und wenn man die dort gezeigten Tipps und Tricks umsetzt, kann man sich einfach, gesund und lecker vegan ernähren.

5. Was ist wichtig für eine gute vegane Küche?

Eine gute vegane Küche lebt – ebenso wie jede andere gute Küche – von einer guten Balance der sechs Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter, umami und fett. Gerade die letzten beiden sind von besonderer Bedeutung, da vor allem tierischen Lebensmittel wie Käse und Fleisch viele Umami-Aromen mitbringen und wenn man diese aus der Ernährung streicht, sollte man sie über andere Wege in Gerichte integrieren. Da viele vegane Fleischalternativen wie Tofu, Sojaschnetzel und Seitan sehr viel weniger Fett haben als die meisten Fleischsorten, sollte man darüber hinaus nicht mit Fett sparen, um ähnlich gute Geschmackserlebnisse zu kreieren. Fett ist auch nicht per se schlecht und das Ziel sollte keine allzu fettarme Ernährung sein; vielmehr sollte man den Fokus auf gesunde Fette legen und lediglich ungesunde Fette reduzieren. Zum Thema der Balance der Geschmacksrichtungen und wie man dadurch bessere vegane Gerichte kocht, habe ich zusammen mit Sebastian ein frei verfügbares Infovideo auf meinem YouTube-Kanal gestellt, namens „Diese Tipps von Kochprofi Sebastian Copien machen jedes vegane Essen leckerer!“*

6. Hast Du geheime Spezialzutaten oder Lieblingsgewürze?

Hefeflocken und japanische Gewürzsaucen bzw. Gewürzpasten! Hefeflocken bringen in Gerichte ein schön deftiges, käsiges Aroma und sind außerdem reich an B-Vitaminen; vor allem helfen sie bei der Bedarfsdeckung des potenziell kritischen B-Vitamins namens Riboflavin (Vitamin B2). Es gibt sogar gewisse Hefeflocken, die mit Vitamin B12 angereichert sind und somit auch bei der Bedarfsdeckung des kritischsten Vitamins der veganen Ernährung helfen. Japanische Würzmittel wie Miso, Tamari und Ume Su bringen schöne Umami-Aromen in Gerichte und sind gerade bei veganer Ernährung besonders interessant, weil sie die kräftig-deftigen Noten liefern, die viele Menschen an der Mischkost so schätzen.

Darüber hinaus sind gerade Miso-Pasten** auch äußerst gesund: Studien zeigen, dass sie trotz ihres hohen Salzgehalts nicht dieselben negativen gesundheitlichen Auswirkungen wie herkömmliches Salz verursachen. Der Grund hierfür sind laut Wissenschaftlern die sekundären Pflanzenstoffe der Sojabohne, die als Basis für die meisten Miso-Sorten verwendet wird, und deren gesundheitlich positive Wirkung durch die Fermentation und die lange Reifezeit nochmals intensiviert wird. Wenn man zu der kleinen Gruppe der Soja-Allergiker gehört, kann man aber auch auf sojafreie Miso-Sorten zurückgreifen.

7. Inwiefern hat dich dein Studium geprägt? Wird die vegane Ernährungsweise in Studiengängen zur Ernährung deiner Meinung nach ausreichend behandelt?

Wenn man im Ernährungsbereich tätig sein möchte, ist ein Studium eine unverzichtbare Grundvoraussetzung, da man dort viele wichtige ernährungswissenschaftliche Grundlagen erhält und gezwungen ist, sich auch mit den komplexeren – aber überaus wichtigen – biochemischen, medizinischen und ernährungsphysiologischen Grundlagen auseinanderzusetzen. Diese Grundlagen fehlen den allermeisten Personen, die sich ihr Ernährungswissen lediglich über oberflächliche Onlinefortbildungen, Bücher oder Ähnliches aneignen. Daher haben mich mein Bachelor- und Masterstudium ebenso wie meine aktuell laufende Doktorarbeit an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn bei beim Eisenexperten Prof. Dr. Klaus Günther mein Verständnis von Ernährung nachhaltig geprägt und bilden die Basis für alle darauf aufbauenden Fortbildungen und Weiteres. Ich habe zwar in meinem Bachelor- und Masterstudium quasi nichts über vegane Ernährung gelernt, aber ich habe die notwendigen Grundlagen in Bezug auf wissenschaftliches Arbeiten, Statistik, Biochemie und Weiteres erhalten, um mich eigenständig in die wissenschaftliche Literatur einarbeiten zu können, um mir meine offenen Fragen dadurch beantworten zu können. Es wäre einerseits wünschenswert, dass vegane Ernährung zukünftig ein größeres Thema im Rahmen der ernährungsbezogenen Studiengänge wird, aber andererseits fehlt es auch Fach- bzw. Lehrkräften an akademischer Bildung in diesem Bereich und so fürchte ich, dass viele Dozenten das Thema auch nicht adäquat im Unterricht abbilden würden.

8. Gibt es kritische Punkte für dich an einer veganen Lebensweise?

Die gibt es selbstverständlich und ich mache da auch keinen Hehl daraus. Ernährungsfachgesellschaften nennen aus gutem Grund eine ganze Reihe an potenziell kritischen Nährstoffen wie die Vitamine B12, B2 und D, Mineralstoffe wie Jod, Selen, Calcium und Zink, Omega-3-Fettsäuren wie EPA und DHA und weitere. Es muss nicht in jedem Fall zu einem Mangel kommen, aber man sollte eben einen besonderen Fokus auf deren Zufuhr legen und gewisse Nährstoffe – vor allem Vitamin B12 – solange über Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, bis diese breitflächig bei veganen Grundnahrungsmitteln angereichert werden. Der einfachste Weg zur Bedarfsdeckung der kritischen Nährstoffe ist ein gut zusammengestellter Multi-Nährstoff, damit man nicht mehrere Einzelpräparate einnehmen muss, sondern den Großteil mit nur einem Produkt abdecken kann.

Auf meiner Webseite www.nikorittenau.com sowie meinem gleichnamigen YouTube-Kanal gibt es ausführlichere Infos dazu. Darüber hinaus gibt es gewisse genetische Prädispositionen, die beispielsweise die Konvertierungsfähigkeit von Carotinoiden in pflanzlichen Lebensmitteln wie Karotten und Süßkartoffeln zu Vitamin A deutlich reduzieren und so die Vitamin-A-Versorgung dieser Personengruppen verschlechtern. Es ist bis heute außerdem nicht zweifelsfrei geklärt, ob und in welcher Höhe Nährstoffe wie Cholin (ehemals Vitamin B4 genannt) über die Nahrung zugeführt werden müssen und ob eine vegane Ernährung den Bedarf decken kann. Darüber hinaus gibt es noch Unsicherheiten, ob die Kollagensynthese auf Dauer im Rahmen der gängigen veganen Ernährung optimal erfolgt und auch noch einige weitere Fragezeichen. Daher ist es auch von so großer Bedeutung, dass es mehr Forschung zu diesen Themen gibt und bis dahin aus Gründen der Sicherheit gewisse Nährstoffe über Nahrungsergänzungsmittel zugeführt werden.
Das Ziel sollte zukünftig selbstverständlich keine permanente Nahrungsergänzung sein – nicht, weil es nicht gut wirkt, sondern weil es zusätzlichen Aufwand und Eigeninitiative erfordert. Stattdessen sollten vegane Grundnahrungsmittel ausreichend mit diesen und anderen kritischen Nährstoffen angereichert werden. Vegane Fischalternativen sollten ebenso wie Fisch reich an den Omega 3-Fettsäuren EPA und DHA sowie Jod sein, es sollte keine Pflanzendrinks ohne Calcium- und B12-Zusatz geben, vegane Ei-Alternativen sollten – wie es auch bei Hühner-Eiern der Fall ist – ausreichend Cholin enthalten, vegane Fleischersatzprodukte sollten so reich an Eisen, Zink, Selen und anderen Mineralstoffen wie deren tierische Äquivalentprodukte sein und vegane Gelatine-Alternativen sollten die gleiche Glycinmenge zur Optimierung der Kollagensynthese enthalten wie tierische Gelatine. Wenn das der Fall ist, werden auch aktuell kritisch eingestellte Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung eine vegane Ernährungsweise in jeder Lebensphase empfehlen und es wird für vegan lebende Menschen sehr viel einfacher werden, sich auch in kritischen Lebensphasen wie der Schwangerschaft, Stillzeit und im Kindesalter vegan zu ernähren.

9. Hast du mit Vorurteilen zu kämpfen und was sind deine Argumente dagegen?

Vorurteile gegenüber der veganen Ernährung gibt es ja wie Sand am Meer; teils aus mangelndem Wissen über die Sachverhalte und teils aus purer Ignoranz gegenüber diesem gesellschaftlich eigentlich so relevanten Thema. Es wurde allerdings in den letzten Jahren um ein Vielfaches besser und gerade medial ist man deutlich seltener damit konfrontiert, was oft als „Veganes Bullshit-Bingo“ bezeichnet wird; also die immer wiederkehrenden selben haltlosen Argumente. Allerdings heißt es immer noch oft „Fleischverzehr hat den Menschen intelligent gemacht und ist daher auch heute noch unverzichtbar“, „Veganismus ist ein Luxusproblem“, „Ohne Milchprodukte schadet man den Knochen“, „Vegane Ernährung ist unnatürlich“, „Pflanzen haben auch Gefühle“, „Veganismus fördert Essstörungen“. Es gibt auch noch viele weitere anti-vegane Argumente, die mir auch heute noch begegnen. Trotz der Absurdität dieser und weiterer Aussagen habe ich allerdings auch großes Verständnis hierfür, denn ich erinnere mich noch gut daran, dass ich vor etwa 10 Jahren, als ich erstmals mit dem Thema der veganen Ernährung in Berührung kam, viele dieser Aussagen selbst tätigte und nicht erkannt habe, wie absurd sie sind. Diese Aussagen hier alle zu entkräften würde den Rahmen des Interviews sprengen, aber wann immer derartige Vorurteile in den Kommentarspalten der sozialen Medien auftauchen, kann man auf die jeweiligen YouTube-Videos meines Kollegen Patrick Schönfeld verlinken, der zu quasi allen häufigen Gegenargumenten jeweils ein eigenes sehr sachliches Video veröffentlicht hat. Sein YouTube-Kanal heißt „Der Artgenosse“: www.youtube.com/c/DerArtgenosse

* Link zum YouTube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=drgwH3pHxGc
** Link: https://www.velivery.com/de/vegane-lebensmittel/vegane-speisekammer/wuerzen/gewuerze/arche-naturkueche-genmai-miso-bio-300g